Wo ist meine Komfortzone?
Jeder kennt mit Sicherheit den Spruch „Komm‘ mal aus Deiner Komfortzone heraus“. Doch was bedeutet für jeden Einzelnen die Komfortzone? Was ist die Komfortzone überhaupt und welche Gründe sprechen dafür, diese zu verlassen? Über dieses Thema handelt dieser Blog, aber in einer etwas anderen Form.
Annette Sickert Karam habe ich während meiner Coach-Ausbildung kennen und vor allem schätzend gelernt. Sie ist Trainerin & Coach für Interkulturelle Kompetenz und Teamentwicklung. In den letzten Wochen hat sich bzgl. des Themas „Komfortzone“ ein Mailverkehr zwischen Annette und mir ergeben, den ich mit ihrer Genehmigung hier veröffentlichen darf.
Ich wünsche viel Freude beim Lesen und ein paar neue Ideen für die eigene Komfortzone.
On 7. Apr 2021, at 20:34, Andreas Fischer Coach <info@andreas-fischer-coach.de> wrote:
Liebe Annette,
ich hoffe du hattest über Ostern ein paar ruhige Tage im Kreise Deiner Familie.
Vielen Dank für den Link zu Deinem Video zum Thema “Komfortzone”. Sehr interessant und spannend. Seit Deinem Interview in diesem Video denke ich verstärkt über Komfortzonen nach und es sind ein paar Fragen aufgekommen. Ich würde mich sehr freuen, wenn Du mir zu diesen Fragen / Punkten noch ein paar Informationen geben kannst:
Inwieweit hat jeder Mensch (individuelle) Komfortzonen?
Wie erkenne ich meine eigenen Komfortzonen?
Wobei hilft es mir, wenn ich meine Komfortzonen kenne oder auch nicht kenne ?
Freue mich auf Deine Rückmeldung und den geschätzten Austausch mit Dir.
liebe Grüße & herzlichen Dank
Andreas
From: Annette Sickert Karam
Sent: Monday, April 12, 2021 10:17 AM
Subject: Re: Dein Video zum Thema „Komfortzone“
Hallo Andreas,
wie schön, dass dir das Video gefallen und dich zum Nachdenken angeregt hat! Komfortzonen sind wirklich ein spannendes Thema, und eins, welches mich mein Leben lang begleitet. Dadurch, dass ich in so vielen unterschiedlichen Kulturen gelebt habe, ist das Verlassen meiner Komfortzone fast schon zu einer Komfortzone geworden 😉
Ich könnte stundenlang über dieses Thema reden, deswegen freue ich mich sehr über deine Fragen! Also los geht’s:
Inwieweit hat jeder Mensch (individuelle) Komfortzonen?
Vielleicht macht es Sinn erst einmal zu überlegen, was eine Komfortzone ist…wie das Wort schon sagt, ist es der Bereich, in dem wir “komfortabel” sind. In dem wir uns, oft ohne es zu merken, wohl fühlen. In dem uns Dinge vielleicht ein bisschen irritieren, aber nicht grundlegend. Es ist ein Bereich, wo alles bekannt, akzeptiert und leicht erkenn- und interpretierbar ist. Der vertraute Rhythmus, die bekannte Musik, die eingespielte Choreographie. Oder, wenn man es neurowissenschaftlich betrachtet: unsere Komfortzone besteht aus den Verknüpfungen in unserem Gehirn, die schon bestehen und die wir leicht immer wieder aktivieren.
Jeder von uns hat eine individuelle Komfortzone, es gibt aber auch Gruppenkomfortzonen. Als interkulturelle Trainerin und Coach arbeite ich mit Menschen zusammen, die über Kulturen hinweg arbeiten: manche führen internationale Teams, andere arbeiten mit internationalen Kollegen und wieder andere werden in andere Kulturräume entsendet. In jeder dieser Situationen verlassen Menschen ihre Komfortzone, sowohl ihre individuelle, als auch ihre kulturelle. Der Rhythmus verändert sich, die Musik scheint nicht zur Choreographie zu passen und plötzlich wissen wir nicht mehr, welche Schrittabfolge die Richtige ist. Wir stolpern ein bisschen, fühlen uns leicht verunsichert, bewegen uns etwas unbeholfen und denken im ersten Moment vielleicht sogar daran, einfach aufzuhören zu tanzen. Wenn wir aber dranbleiben, nicht aufgeben, sondern beginnen genau hinzuhören und neue Schritte auszuprobieren, dann lernen wir dazu, wir erweitern unser Repertoire. Und auch das kann man neurowissenschaftlich nachvollziehen: plötzlich passen die altbekannten Neuronenverknüpfungen nicht mehr, wir müssen neue schaffen. Das Schöne daran ist, dass wir dadurch zur Neurogenese beitragen. Das heißt, immer wenn wir unsere Komfortzone verlassen und neue Dinge lernen (neue Sprachen, neue Tänze, neue Verhaltensweisen) tragen wir zur Genese neuer Gehirnzellen bei.
Wie erkenne ich meine eigenen Komfortzonen?
Wir erkennen unsere eigene Komfortzone vor allem dann, wenn wir sie verlassen. Wenn es plötzlich ungemütlich wird. Wenn nicht alles seinen gewohnten Gang geht. Wenn wir beim Tanzen aus dem Tritt kommen. Oftmals reagieren wir dann instinktiv mit Abneigung oder Rückzug und möchten schnell wieder in unsere gemütliche, bekannte, sichere Komfortzone.
Evolutionär betrachtet ist unser Gehirn darauf programmiert Sicherheit zu suchen und Unsicherheit zu meiden. Deswegen signalisiert unsere limbisches System Gefahr, wenn wir mit Unbekanntem konfrontiert werden. Unser Präfrontaler Kortex, also der Teil unseres Gehirns, der für bewusste Entscheidungen und logisches Denken zuständig ist, kann diesen Impuls überschreiben. Warum das wichtig ist: dort, wo es unbequem und vielleicht sogar ein bisschen unheimlich wird, findet Wachstum statt. Wir entwickeln uns nur weiter, lernen dazu, wachsen als Menschen, wenn wir uns aus unserer Komfortzone herausbewegen.
Wobei hilft es mir, wenn ich meine Komfortzonen kenne oder auch nicht kenne ?
Du hast ja bestimmt mittlerweile gemerkt, dass ich ein großer Fan davon bin, die eigene Komfortzone zu verlassen. Wir wachsen, entwickeln uns weiter und erweitern unseren Horizont immer dann, wenn wir uns Dingen stellen, die neu, anders und unbekannt sind, also nicht Teil unserer Komfortzone. Und dafür ist es natürlich hilfreich sich seiner eigenen Komfortzone bewusst zu sein, sie zu kennen.
So, mein Lieber, ich hoffe das hilft dir weiter…lass mich wissen, welche Fragen, Anmerkungen, Kommentare du noch hast!
Ich wünsche dir einen guten Start in die Woche, hier scheint tatsächlich ganz zaghaft die Sonne!
Liebe Grüße
Annette
On 18. Apr 2021, at 10:57, Andreas Fischer Coach <info@andreas-fischer-coach.de> wrote:
Hallo Annette,
danke Dir für diese vielen und vor allem sehr interessanten Informationen. Anfangs waren mir ein paar Begriffe unbekannt <wlEmoticon-smile[1].png>, aber ich habe nach einer Internetrecherche alles verstanden.
Ich möchte gerne das Thema “Komfortzone” etwas herunterbrechen. Nicht jeder hat ja gleich die Möglichkeit, gleich in einer andern Kultur zu leben.
Zwei Aussagen beschäftigen mich: “tragen wir zur Genese neuer Gehirnzellen bei” und “wo es unbequem und vielleicht sogar ein bisschen unheimlich wird, findet Wachstum statt”
Wo siehst Du die Möglichkeiten im täglichen Leben, in einem Ablauf der Gewohnheiten, bei festen & festgefahrenen Strukturen für persönlichen Wachstum und Genese der Gehirnzellen zu sorgen ?
Anders gefragt: wie kann jeder in kleinen Schritten Änderungen in der eigenen Komfortzone herbeiführen, um dann für sich Positives zu erfahren ?
Freue mich wie immer auf Deine Antwort, wünsche einen schönen Sonntag und hoffe auf ein baldiges / persönliches Treffen !
Herzliche Grüße Andreas
From: Annette Sickert Karam
Sent: Sunday, April 18, 2021 4:55 PM
Subject: Re: Dein Video zum Thema „Komfortzone“
Hallo Andreas,
schön, dass du nach einer kleinen Recherche alles verstanden hast…hättest mich natürlich auch gerne jederzeit anschreiben können 😉
Wir können tatsächlich mit ganz kleinen Dingen anfangen unsere Komfortzone zu verlassen und die Neurogenese anzustoßen: einfach einmal einen anderen Weg zum Spazierengehen nehmen (das ist ja im Moment etwas, was wir wahrscheinlich alle relativ häufig machen!), oder die Joggingrunde anders herum laufen. Unser Essen mit unserer nicht dominanten Hand essen, oder das Glas mit der nicht dominanten Hand heben. Du siehst, die ganzen Vorschläge verbindet, dass wir Gewohnheiten, oft auch unbewusste, bewusst durchbrechen und Automatismen das Automatische nehmen. Immer wenn wir bewusst versuchen, Dinge zu tun, die wir vorher nicht gemacht haben, ergeben sich Möglichkeiten zur Neurogenese. Das können solch ganz alltägliche Aktivitäten sein, wie die, die ich gerade genannt habe, oder auch das Erlernen einer neuen Sprache, einer neuen Sportart.
Das sind jetzt alles keine Dinge, bei denen es „unbequem oder sogar ein bisschen unheimlich” wird. Aber diese kleinen Dinge sind sozusagen Trainingseinheiten, unsere „Baby Steps“ in Richtung größere Schritte heraus aus unserer Komfortzone. Weitere kleine Schritte könnten zum Beispiel sein:
- sich einen Film aus einem völlig anderen Kulturkreis bewusst bewertungsfrei anzusehen
- mit Menschen zu sprechen, mit denen wir sonst eher nicht viel Austausch haben
- sich mit Menschen auseinanderzusetzen, die aus anderen Berufsgruppen, sozialen Schichten oder eine andere kulturelle Herkunft haben
- sich selbst jeden Monat eine Komfortzonenverlass-Aufgabe zu stellen: also sich selbst bewusst dazu zu verpflichten etwas zu tun, was ein bisschen unheimlich ist
Na, was ist dein nächster Schritt aus der Komfortzone? Bin gespannt!!
Dir auch noch einen schönen Sonntag! Und ja, hoffentlich bis bald!!
Liebe Grüße
Annette
From: Andreas Fischer Coach
Sent: Saturday, May 01, 2021 12:05 PM
To: Annette Sickert Karam
Subject: Re: Dein Video zum Thema „Komfortzone“
Hallo Annette,
wünsche Dir einen schönen 1. Mai. Leider dieses Jahr ohne den üblichen Tanz in den Mai. Na ja, ich denke auch hier verlassen wir alle derzeit ein Stück unsere Komfortzone.
Ich danke Dir für die zahlreichen Tipps und Anregungen. Viele Punkte sind ja umsetzbar, ohne dass wir direkt unser ganzes Leben umkrempeln. Ich berichte Dir in den nächsten Wochen / Monaten, an welchen Stellen ich meine Komfortzonen verlassen habe und wie ich das Thema auch in mein Coaching einbinden konnte.
Wünsche Dir einen sonnigen Start in den Mai !
herzliche Grüße & vielen Dank für den Austausch.
Andreas